»Die Erfahrung des Unmöglichen.«

Derrida: ›Qu’est-ce qu’une traduction relevante?‹

 

Ist es möglich über die Übersetzung zu sprechen, ohne zu übersetzen? Was ist die Beziehung zwischen Übersetzung als wissenschaftlichem Objekt und Übersetzung als Akt, als performativem Sprechakt, als Gestus? Hat man genug Abstand von der Übersetzung, um sie als Objekt zu behandeln? Ich denke hier an Freud und den Wiederholungszwang und was Derrida in Spéculer sur Freud über die „démarche“ in Freuds Essay Jenseits des Lustprinzips sagt. Da behandelt er das berühmte Kapitel, in dem Freud von dem Fort-Da-Spiel spricht. Ich zitiere Derrida:

On constate que quelque chose se répète. Et […] il faut identifier le procès répétitif non seulement dans le contenu, les exemples, le matériau décrits et analysés par Freud mais déjà, ou encore, dans l’écriture de Freud, dans la démarche de son texte, dans ce qu’il fait autant que dans ce qu’il dit, dans ses „actes“, si vous préférez, non moins que dans ses „objets“. (316)

Die Fragen, die Derrida stellt, sind folgende: Wo befindet sich eigentlich die Wiederholung? Wo findet sie statt? Ist sie Objekt des Freud’schen Textes oder seine „démarche“? Seine Antwort ist, dass die Wiederholung, weil sie sich wiederholt, aktiv ist und immer wieder gerade dort auftaucht, wo sie am wenigsten erwartet und erwünscht ist. Als stabiles, passives, inertes Objekt einer Analyse lässt sie sich nicht behandeln oder begreifen. Sie ist, wenn man will, am Werk im Freud’schen Werk.

Deswegen analysiert Derrida nicht nur, was Freud über die Wiederholung sagt, sondern auch, was die Wiederholung in seinem Text tut. Durch diese Analyse will er alles andere als die Kraft der Wiederholung neutralisieren. Stattdessen geht er dieser Kraft nach, lässt er sich von ihr leiten und anstecken. Für ihn liegt der große Vorteil des Freud’schen Textes darin, dass er sich auf verschiedenen Ebenen untersuchen lässt, dass er Probleme inszeniert und ausagiert, die problematischer sind als man denkt, weil sie sich als dynamische, sperrige und unheimliche Prozesse nicht objektivieren lassen. Man ist in sie verfangen, von ihrer Eigendynamik angesteckt. Erst wenn man diese Dynamik – und die eigene, ironische Implikation in ihr – wahrnimmt, fängt die Wiederholung an, interessant zu sein. Es gibt keinen Abstand, keinen Überblick, keine Metasprache. Kurz gesagt zieht Derrida aus seiner Jenseits-Lektüre den Schluss, dass über den Wiederholungszwang zu sprechen letztendlich heißt, selbst gezwungen zu sein, Wiederholungen auszuagieren.

Dies gilt für ihn auch für die Übersetzung. Deswegen muss man seinen Text „Qu’est-ce qu’une traduction ‚relevante‘?“ auf zwei verwandten Ebenen lesen, gleichzeitig fragend, was Derrida tut und was er sagt, wie er übersetzt und was er zu der Frage der Übersetzung überhaupt und – noch ironischer – was er zu seinen eigenen Übersetzungen zu sagen hat. Deswegen fängt sein Text mit einem Akt, mit einer Geste an: „je traduis“, sagt er, oder vielmehr: „je ne traduis pas cette phrase de Portia“ (561). Erst danach kommt die reflexive Frage: „Comment oser parler de traduction devant vous […]?“ (561)

Kurz: Er hält eine fragende, selbstironische Rede über die Übersetzung und er übersetzt. Er spricht von Versprechungen, von Verzeihen, von Bitten und Gebeten, indem er verspricht, bittet, betet und um Verzeihung bittet. Derrida folgend möchte ich meinerseits Folgendes fragen: Wie geht das Performative über das Konstative, der Sprechakt über den Bericht, die Geste über die Feststellung hinaus? Was wird durch diese Akte und Gesten inszeniert, das nicht gesagt werden kann? Welche Rolle spielen der Körper und die körperlichen Gesten bei diesen – manchmal stumm – inszenierten Akten, bei diesen Shakespeare’schen „dumbshow performances“?

Wie Sie wissen, bedeutet „dumb“ auf Englisch nicht nur „dumm“, sondern auch, und besonders in diesem Kontext, „stumm“. Die Frage, die Derrida ganz am Anfang seines Übersetzer-Vortrags aufwirft, ist diese: Was bleibt zwischen Sprechen und Schweigen hängen? Er stellt diese Frage schon in seinem Titel: „Qu’est-ce qu’une traduction ‚relevante‘?“; er stellt sie in einem Titel, der vor allem als offene, unbeantwortbare Frage verstanden werden muss. So gesehen bleibt die Frage selbst hängen. Als offene Frage öffnet sie auch die Zeit, hält sie auf und lässt sie stehenbleiben. Anders gesagt hat die Frage – in ihrer Unentschiedenheit – eine performative Funktion. Sie führt eine andere Zeit ein, die Zeit der Zwischenzeit, die des Zögerns und Stehenbleibens. Wie Scheherezade schiebt sie das Ende, die Entscheidung und den Tod hinaus. Die Zeit bleibt solange offen wie Derridas Vortrag, wird von seinem Vortrag selbst offengehalten. Deswegen tritt die Zeit ganz am Ende, in den letzten Worten des Vortrags, als Thema, als Performance und als Performance des Themas wieder auf. „Merci pour le temps que vous m’avez donné, pardon, mercy, pardon pour celui que je vous ai pris.“ (575). Es klingt zunächst wie eine Redefloskel: Danke für ihre Aufmerksamkeit, danke für die Zeit, die sie mir geben haben, für die Zeit, die ich Ihnen genommen habe. Die Gegenüberstellung von zwei Verben: geben und nehmen scheint eine Wechselseitigkeit, die eines fairen Handels und gleichberechtigten Austauschs, zu unterstreichen. Aber gerade die Symmetrie dieser Gleichgewichtung drückt eine Unentschiedenheit der Sache, eine Offenhaltung der Frage und eine Offenhaltezeit aus. Die Geschäfte bleiben offen. Der Kaufmann von Venedig kommt nicht zum Schluss. Die Interventionen von Derrida halten das Stück offen, schieben andere Akte und Zwischenakte ein. Diese Akte sind vor allem mit den Sprechakten verbunden, die so schnell und mehrsprachig am Ende ausgetragen werden: „merci“ (eine Danksagung), „pardon“ (eine Bitte um Vergebung), „mercy“ (eine Bitte um Gnade), „pardon“ (eine Bitte um Entschuldigung). Alternierend zwischen Französisch und Englisch verschiebt sich der Akzent mehr und mehr auf den zwischensprachlichen Raum des Übersetzens. Am Ende ist man nicht sicher, zu welcher Sprache die homonymen Wörter – „merci“, „mercy“, „pardon“, „pardon“ – gehören, genauso wie das Titelwort, „relevante“, das in Anführungszeichen erscheint und immer noch im Zwischensprachlichen suspendiert bleibt.

Indem Derrida beim Zwischensprachlichen verweilt, lässt er das Shakespeare’sche Stück, das allzu schnell Entscheidungen wie Portias „Then must the Jew be merciful“ trifft, das ohne weiteres Konversionen erzwingt und rasch zu einem tragischen Ende kommt, atmen. Durch seine Interventionen, die so viel in Frage stellen und gleichzeitig unentschieden lassen, schaltet er Atempausen ein.

Die Pausen öffnen sich nicht nur in seiner Shakespeare-Lektüre, auf die wir zurückkommen werden, sondern auch in seiner eigenen, manchmal zum Stocken und Stottern gebrachten Rede. Es stellt sich dabei die Frage, was für ein Sprechakt Stottern sein mag. Zwischen Sprechen und Schweigen hängend, ist es überhaupt als Sprechakt zu werten? Ist das Stottern ein Sprechakt oder eher ein Sprechakt „manqué“, eine Fehlleistung, wie Freud sagen würde? Als letztere, d. h. als unbewusster Sprechakt gesehen, scheint das Stottern etwas auszuagieren, das nicht zur Sprache kommen kann. Auch wenn Derrida in dieser Rede nicht gerade stottert, interessiert er sich sehr für das Phänomen. Wie anders sollte man seine wiederholte Hervorhebung von Anfangslauten wie „tr“ und „mer“ verstehen? Warum bildet er Ketten von ähnlich klingenden Anfangslauten wie „travaille“, „travels“, „travails“ und „trouvaille“ (574) oder „merci“, „merchant“, „merces“, „marché“, „marche“, „merchandise“ und „mercenariat“ (568)? Nicht nur haben diese immer länger werdenden Ketten etwas mit Stottern zu tun, sondern auch mit der rhetorischen Figur der Anapher. Anaphorisch vorgehend, agiert Derrida den unausgesprochenen Wunsch – wenn nicht gar den Zwang – aus, immer am Anfang zu bleiben, immer wieder von Neuem anzufangen, sich nicht mehr von der Stelle wegzubewegen, an der etwas hakt.

Schon im Titel, schon sozusagen vor dem Anfang, scheint etwas zu haken. Dieses Haken erscheint vor allem als schweigende Geste, als die Anführungszeichen, die das Wort „relevante“ umklammern, als ob man nicht auf Anhieb wüsste, wie es auszusprechen wäre, nicht wüsste, ob es als englisches oder französisches Wort zu behandeln wäre, ob es ein wahres Zitat ist oder nur ironisch gemeint.

„Ständig am Anfang bleiben“ bedeutet nicht über den Titel hinauskommen, immer weiter bei der offenen Frage, die er stellt, verweilen. Die Frage lautet zum einen: Zu welcher Sprache gehört das Wort „relevante“? Ist es Englisch, Französisch oder, wie Derrida betont, ein Wort, das zwischen den beiden unentschieden suspendiert bleibt, ein Wort, das aus dem Englischen kommt, aber noch nicht im Französischen angelangt, noch nicht offiziell von Akademien, Wörterbüchern und anderen zuständigen sprachlichen Instanzen anerkannt ist? Als Adjektiv bildet es sich aus dem Partizip Präsens des Verbs „relever“, das eine so große Rolle im Text spielt. Als Partizip Präsens deutet es auf einen Akt, der noch anhält, noch nicht vollendet ist, einen Akt, der, wie die Übersetzung, noch im zwischensprachlichen Raum verweilt und diesen Raum selbst ausdehnt.

Dass Derrida so zögerlich vorangeht, zeugt zum anderen auch von der Stärke des Windes, der ihm entgegenweht. Es ist der Wind der Hegel’schen Aufhebung, der „relève hegelienne“, wie Derrida es übersetzt, und der damit verbundenen Übersetzungspraktiken. Gegen Ende seiner Rede geht er direkt auf diese Verbindung ein. Sein Ausgangspunkt ist diesmal Benjamins Übersetzer-Aufsatz und die Wörter fortleben und überleben, die er aufgreift, wenn er von „la survie du corps de l’original“ und la „vie par-delà la mort“ spricht. So Derrida:

N’est-ce pas ce que fait une traduction ? Est-ce qu’elle n’assure pas ces deux survies en perdant la chair au cours d’une opération de change ? En élevant le signifiant vers son sens ou sa valeur, mais tout en gardant la mémoire endeuillée et endettée du corps singulier, du corps premier, du corps unique qu’elle élève et sauve et relève ainsi ? Comme il s’agit d’un travail, voire, nous le disions, d’un travail du négatif, cette relevance est un travail du deuil […] La mesure de la relève ou de la relevance, le prix d’une traduction, c’est toujours ce qu’on appelle le sens, voire la valeur, la garde, la vérité comme garde (Wahrheit, bewahren) ou la valeur du sens, à savoir ce qui, se libérant du corps, s’élève au-dessus de lui, l’intériorise, le spiritualise, le garde en mémoire. Mémoire fidèle et endeuillée. On n’a même pas à dire que la traduction garde la valeur du sens ou doit y relever le corps : le concept même, la valeur du sens, le sens du sens, la valeur de la valeur gardée nait de l’expérience endeuillée de la traduction, de sa possibilité même. (574–5)

Unmöglich ist es, etwas einfach gegen diese trauernd-erhebende, bewahrend-aufhebende Operation zu setzen; unmöglich, einfach aus ihr heraus zu kommen. Dass Derrida manchmal überraschend generell redet, z. B. wenn er von „la loi de la traduction en général“ (567) spricht, zeugt vor allem von der massiven Verbreitung der Hegel’schen Aufhebungslogik und ihrem systematischen – d. h. kaum erkennbaren – Charakter.

Einerseits zeigen Derridas Versuche, verschiedene, scheinbar weit auseinander liegende Begriffe und Bereiche mit demselben Wort „relève“ zu übersetzen, dass sie strukturell viel Gemeinsames haben. Andererseits leistet er, immer beim selben Wort bleibend, eine Art inneren Widerstand. Auch wenn die massiv verbreiteten Machtstrukturen intakt bleiben, scheint etwas innerhalb von ihnen am Werk zu sein, das sie insgeheim, quasi-schweigend und insistierend wie ein Stottern verschiebt. Derrida versucht diese innere Resistenz, diese Resistenz der Hegel’schen Operation gegen sich selbst, auszuarbeiten. Wie bekannt, ist diese Operation sich selbst widersprechend. Gerade deswegen wurde das Schlüsselwort und sozusagen der Motor dieser Operation – das deutsche Wort Aufhebung – jahrelang als unübersetzbar betrachtet.

Indem Derrida die Frage „Qu’est-ce qu’une traduction ‚relevante‘?“ stellt, denkt er über seine eigene Übersetzung dieses Wortes als „relève“ nach. Anders als das Wort „relevante“, das im französischen Sprachraum noch nicht offiziell akzeptiert ist, hat seine Übersetzung des Wortes „Aufhebung“ als „relève“ sich sowohl in der französischen als auch in anderen Sprachen schon – und irgendwie überraschend – durchgesetzt. Kurz gesagt hat seine Übersetzung dieses notorisch unübersetzbaren Wortes sich als „relevante“ erwiesen – und das stört ihn. Und gerade diese Störung treibt ihn an, über die Übersetzung im Allgemeinen und die Übersetzung des bestimmten Wortes „Aufhebung“ weiter zu reflektieren, sie weiter – und immer wieder – in Frage zu stellen. Diese Frage stellt er schon im Titel, und die einfachste, „relevanteste“ Antwort darauf gibt er im Folgenden:

Qu’est-ce qu’une traduction „relevante“ ? […] Eh bien, ce qui touche juste, ce qui paraît pertinent, à propos, bien venu, approprié, opportun, justifié, bien accordé ou ajusté, venant adéquatement là où on l’attend – ou correspondant comme il le faut à l’objet auquel se rapporte le geste dit „relevant“, le discours relevant, la proposition relevante, la décision relevante, la traduction relevante. Une traduction relevante serait donc, tout simplement, une „bonne“ traduction, une traduction qui fait ce qu’on attend d’elle, en somme, une version qui s’acquitte de sa mission, honore sa dette et fait son travail ou son devoir en inscrivant dans la langue d’arrivée l’équivalent le plus relevant d’un original, le langage le plus juste, approprié, pertinent, adéquat, opportun, aigu, univoque, idiomatique, etc. Le plus possible, et ce superlatif nous met sur la voie d’une „économie“ avec laquelle nous devrons compter. (563)

Wie gesagt, die Tatsache, dass seine Übersetzung des Wortes „Aufhebung“ als „relève“ sich als „relevante“, als „eine gute Übersetzung“, erweisen hat, stört ihn. Es reizt, irritiert, ärgert, verunsichert und – fasziniert ihn auch irgendwie. Was ihn noch stört, ist die Verknüpfung der als „relevante“ erachteten Übersetzung mit einer gewissen „Ökonomie“ der Aneignung, des Erfolgs, der Gültigkeit, der angemessenen Wiedergabe, der Abzahlung von Schulden, des Möglichen und des Möglichsten, „le plus possible“, wie er sagt. Als solche geht die Übersetzung nicht weit genug. Sie ist nicht auf der Höhe der Herausforderung, die das Unübersetzbare immer stellt. Sie weicht vor der Erfahrung zurück, die die Übersetzung sein soll, die Erfahrung des Unmöglichen: „l’expérience de l’impossible“. Eine „relevante“ Übersetzung, eine Übersetzung, die sich mit dem Möglichsten, dem „le plus possible“, zufriedengibt, meidet die Gefahr der Erfahrung, „l’epreuve de l’expérience“, die Probe, die jeder Übersetzungsversuch als „expérience de l’impossible“ sein soll. „Parler, enseigner, écrire“, betont Derrida, „je sais que cela n’a de sens à mes yeux que dans l’épreuve de la traduction, à travers une expérience que je ne distinguerai jamais d’une expérimentation“. (561)

Wenn es eine Ethik der Übersetzung gibt, dann besteht sie in der Erfahrung des Unmöglichen, des Unübersetzbaren. Dabei geht es weniger darum, ob ein Ausdruck sich als gut oder schlecht, relevant oder irrelevant erweist, weniger um das, was zum Ausdruck kommt als um das, was buchstäblich im Mund bleibt. Und das, was im Mund bleibt, bleibt irgendwie stecken. Es stockt und stammelt, zwischen Sprechen und Schweigen hängend.

In dieser Hinsicht ist es bezeichnend, dass Derrida der Mundhöhle besondere Aufmerksamkeit widmet. Nicht nur spricht er an einer der sinnlichsten Stellen seines Vortrags von einer leckenden Zunge, sondern auch über Essen, Geschmack und wie das Essen geschmackvoller zubereitet werden kann. Im letzteren Kontext geht es natürlich nicht nur um Würzung und Gewürze, sondern auch und vor allem um Gnade und Gerechtigkeit und die Frage, wie man den Schlüsselsatz des Kaufmann von Venedig – „when mercy seasons justice“ – übersetzen soll. Und genau hier bringt Derrida die verwandte Frage der Übersetzung des Wortes „Aufhebung“ als „relève“ wieder ins Spiel und stellt sie weiter in Frage.

Bevor wir zu dieser köstlichen Stelle – zum theatralischen „plat de résistance“, wie Derrida es bezeichnet – kommen, bleiben wir zunächst bei der Mundhöhle, bei dem, was in ihr stecken bleibt, und bei der leckenden Zunge, die aus ihr herauskommt Ganz am Anfang seiner Rede sagt Derrida Folgendes über das Wort „Wort“:

Qu’il s’agisse de grammaire ou de lexique, le mot – car le mot sera mon sujet –, il ne m’intéresse, je crois pouvoir le dire, je ne l’aime, c’est le mot, que dans le corps de sa singularité idiomatique, c’est-à-dire là où une passion de traduction vient le lécher – comme peut lécher une flamme ou une langue amoureuse : en s’approchant d’aussi près que possible pour renoncer au dernier moment à menacer ou à réduire, à consumer ou à consommer, en laissant l’autre corps intact mais non sans avoir, sur le bord même de ce renoncement ou de ce retrait, fait paraître l’autre, non sans avoir éveillé ou animé le désir de l’idiome, du corps original de l’autre, dans la lumière de la flamme ou selon la caresse d’une langue. Je ne sais comment, en combien de langues, vous traduirez ce mot, lécher, quand on veut lui faire dire qu’une langue en lèche une autre, comme une flamme ou une caresse. (561)

„Je n’aime le mot que dans le corps de sa singularité idiomatique“, beteuert Derrida. Hier geht es aber nicht nur um Körper, sondern auch und vor allem um Körperteile, um Zungen, die wie Flammen lecken. Mir scheint es wichtig – besonders im Kontext vom Kaufmann von Venedig und seinem berühmten „pound of flesh“, „livre de chair“ oder „Pfund Fleisch“ – diese Tatsache zu betonen; erstens, weil es um die idiomatische Singularität eines Körpers geht, eines Körpers, der sowohl der eines Wortes als auch der eines Menschen ist. Dank der idiomatischen Singularität der französischen Sprache kann Derrida gleichzeitig von „langue“ und „langue“, Sprache und Körperteil sprechen. Hier geht es nicht nur um eine Verbindung, die, im Vergleich zum Englischen und Deutschen, nur auf Französisch herzustellen ist, sondern auch um die Frage, wie Körper sprachlich kultiviert, besetzt und organisiert sind.

Diese Frage wird ausführlicher in Derridas Monographie Schibboleth pour Paul Celan behandelt. Wie der Titel schon besagt, geht es nicht nur um sprachliches Wissen oder „savoir linguistique“ sondern auch um ein sprachliches und aus-sprachliches „savoir-faire“. Es gibt z. B. bestimmte Vokale, die sprachlich kultivierte Menschenkörper nicht aussprechen können, selbst wenn man weiß, wie sie auszusprechen sind. Hier handelt es sich, wenn man will, nicht nur um die Sprache als wissenschaftliches Objekt, sondern auch um sie als Akt. Als sprachlich besetzter Körper und als körperlich ausgeführter Sprechakt kommt das Begehren ins Spiel.

Es handelt sich dabei um das Begehren des Idioms, das erst durch ein bestimmtes Lecken und Liebkosen der Zunge erweckt und belebt wird. Dies Lecken ist gleichzeitig das einer menschlichen Zunge und das einer lodernden Flamme. Zu zweit lecken sie und wie ein Liebespaar lecken und liebkosen sie sich. Einerseits erleuchtet die Flamme das schon entzündete Begehren der Zunge; andererseits reizt die Zunge die schon leuchtende Flamme zu immer größerer Glut. Auf diese idiomatische Weise lecken und liebkosen sich Flamme und Zunge. Ihr gegenseitiges Begehren wird nur von der Sprache getragen, von einer Sprache, die wiederum selbst in ihrer idiomatischen Singularität davon berührt wird.

Anders gesagt, geht das Begehren in verschiedene Richtungen zugleich. Sprache, Körper und Feuer berühren sich, ohne dass das eine je von den anderen „consumé ou consommé“ (561), konsumiert, resümiert oder integriert wird. Es steht hierin im Kontrast zu der Richtung, in die „la relève“ geht: eine Richtung, die Derrida zufolge immer internalisierend, erinnernd, vergeistigend, aufbewahrend und reflexiv erhöhend ist. Als solche ist die Hegel’sche Aufhebung immer bestrebt zu konsumieren, zu resümieren und zu integrieren.

Indem Sprache, Zunge und Flamme sich berühren, sprechen sie mit- und durcheinander. Ihr gegenseitiges Begehren wird nie klar ausgesprochen. Wenn dies Begehren überhaupt zu Wort kommt, dann eher als ein Babbeln, als ein Wort, das im Mund bleibt. Je problematischer das Sprechen und das Aussprechen werden, desto mehr lenkt sich die Aufmerksamkeit auf die Mundhöhle. Nicht mehr – oder nicht mehr nur – als Sprachorgan zu betrachten, verwandelt sich diese Körperöffnung in einen Ort, wo Sprechen, Essen und Schmecken zusammenkommen, wo die Frage der Aufhebung und ihrer französischen Übersetzung als „relève“ aufs Neue und anders gestellt wird.

Wenn Derrida wieder auf sie zurückkommt und wieder ein fremdes Wort mit dem französischen Verb „relever“ übersetzt, dann verschiebt sich der Akzent von einer Übersetzung, die sich als „relevante“ erwiesen hat, auf die Unübersetzbarkeit, die Unmöglichkeit und eine bestimmte „Irrelevanz“. Es handelt sich in diesem Kontext um die Frage, wie man den Satz „when mercy seasons justice“ übersetzen soll. Indem Derrida den Satz als „plat de résistance“ (571) des Shakespeare’schen Stückes, aber auch der eigenen Intervention, bezeichnet, betont er nicht nur das Kulinarische, sondern auch eine Art Widerstand. Zu dieser Résistance sammelt er verschiedene Kräfte – vor allem, die noch nicht mobilisierten Ressourcen des Worts „relever“ selbst. Wenn es sich hier um „relever“ als Übersetzung deutscher und englischer Wörter handelt, geht es auch dabei um Wendungen wie „relever la garde“ (573), die das Englische „to relieve“ und das Deutsche „ablösen“ im militärischen Sinn übersetzen; es geht auch um idiomatische Ausdrücke wie „relever un défi“, sich einer Herausforderung stellen. In diesem Kontext spricht Derrida sogar von einer Übersetzung, die keine mehr ist: „une traduction [qui] ne va pas relever […] de ce qu’on appelle couramment une traduction, une traduction relevante“ (572), „eine Übersetzung, die nicht mehr dem entsprechen wird, was wir heutzutage Übersetzung, bzw. relevante Übersetzung nennen“. Und letztendlich und vor allem geht es um das Verb „relever“ als Übersetzung des Englischen: „to season“. „Voici maintenant le plat de résistance“, sagt Derrida. „J’en ai laissé le goût plus relevé pour la fin“, „Und jetzt kommt ‚le plat de résistance‘. Ich habe dessen stärker gewürzten Geschmack fürs Ende behalten.“ (570)

Seine Übersetzung des englischen Verbs „to season“ als „relève“ ist gewagt, so kühn, dass sie nicht mehr dem entspricht, was man heutzutage Übersetzung nennt, so verwegen, dass Derrida sich gezwungen sieht, sie auf drei verschiedene Weisen zu rechtfertigen. Die Begründungen sind lang und kompliziert und ich hoffe, dass wir Zeit während des Workshops haben, sie ausführlicher zu diskutieren. Im Moment aber möchte ich weniger über diese bestimmten Begründungen sprechen, als über Derridas allgemeine Herangehensweise und die Art und Weise, wie sie vom geläufigen Übersetzungsbegriff abweicht.

Zunächst versichert er, dass die Übersetzung, die er vorschlagen wird:

ne sera pas […] une „vraie“ traduction, surtout pas une traduction relevante. Elle ne répondra pas au nom de „traduction“. Elle ne rendra pas, elle ne s’acquittera pas, elle ne restituera pas tout, elle ne paiera pas toute sa dette, et d’abord à un concept supposé, à une identité de sens alléguée du mot „traduction“. Elle ne va pas relever  […] de ce qu’on appelle couramment une traduction, une traduction relevante. (572)

Schon sieht man die Richtung, in die sein Widerstand geht, wogegen er Widerstand leistet, warum er dieses Stück gewählt hat, und weshalb er sich gerade auf diese Stelle konzentriert. Klar ist, dass Übersetzung ein Sprechakt ist, einer, der nicht nur vom geläufigen Übersetzungsbegriff abweicht, sondern ihn auch deplatziert. Seine Übersetzung ist in diesem Sinn keine Wiedergabe. Sie gibt nicht zurück, gibt das nicht wieder, was schon da war: „elle ne restituera pas tout“. In diesem Sinn ist Übersetzung keine Transaktion, kein gleichberechtigter Austausch, keine Rückzahlung mehr. Und hier sind wir natürlich bei den Themen des Shakespeare’schen Stückes, wo es um Schulden und ihre – mögliche und bzw. unmögliche – Zurückzahlung geht. Hier handelt es sich weniger um Handel, Austausch und Rückzahlung als um Geben und Vergeben, „donner et pardonner“, um „mercy“, „miséricorde“ und Gnade, um die Sprechakte, die etwas ausführen und um die Sprechakte „manqués“, die sie sozusagen fehlleisten.

Anders gesagt, handelt es sich hier um eine andere Ökonomie des Übersetzens, bei der eine Gabe nicht unbedingt eine Zurückgeben ist. Derridas Übersetzung des Satzes „when mercy seasons justice“ als „quand le pardon relève la justice“ (572) ist so eine Gabe, wenn man will: „un pardon“. Diese Gabe gibt nicht zurück, weil es das, was übersetzt wird, nie vorher gegeben hat, nie mit sich selbst identisch war. Gerade deswegen kann seine Übersetzung des Wortes „seasons“ als Allegorie der Übersetzung überhaupt, als Allegorie der Deplatzierung dieses Aktes und seine Neuinterpretation als Gabe, dienen. Mit besonderem Nachdruck auf das Verb „donner“ begründet Derrida seine Übersetzung des Wortes „seasons“ als „relève“:

Relever a d’abord le sens ici connoté de la cuisine, comme assaisonner. Il s’agit de donner du goȗt, un autre goȗt qui se marie au premier goȗt perdu, restant le même tout en l’altérant, en le changeant, en lui enlevant sans doute quelque chose de son goȗt natif, originaire, idiomatique, mais en lui donnant aussi, et par là même, plus de goȗt, en cultivant son goȗt naturel, en lui donnant encore le goȗt de son goȗ; de sa saveur propre et naturelle : c’est ce qu’on appelle „relever“ en cuisine française. (572)

„Relever“ bedeutet „donner du goȗt“, aber in einer bestimmten Art und Weise. Was und besonders wie es gegeben wird, zeigt Derrida in seiner eigenen Übersetzungspraxis. Indem er das englische Wort „seasons“ durch das französische „relève“ übersetzt, tut er genau das mit dem englischen Wort, was „relever“ mit dem Geschmack tut. Il le relève. Aber es stellt sich gerade dabei die Frage: Was für eine Gabe, was für ein „don“ und „pardon“, ist diese „relève“? Wie genau gibt sie Geschmack? Wie mundet er? Wie bleibt der Geschmack, den sie gibt, im Mund? Wie lässt er sich auskosten? Wie schmeckt die Sprache in ihrer Unübersetzbarkeit, Unmöglichkeit, Unverdaulichkeit – in, kurz gesagt, ihrer Unaufhebbarkeit – im Mund? Es gibt, sozusagen, „la relève“ et „la relève“ und der Unterschied zwischen ihnen, wenn es überhaupt einen gibt, besteht in der Art und Weise wie man „geben“ versteht – wie man es nicht nur „versteht“, sondern vor allem deplatziert, anders inszeniert und ausagiert.

Wenn sich der Satz „donner du goȗt“ auf die Übersetzung beziehen lässt, dann hat man mit einem gegenwendigen Verhältnis zwischen der Urschrift und dem Zieltext zu tun. Denn „donner du goȗt“ im Sinne von „relever“ heißt erstens etwas ergänzend ersetzen: „un autre goȗt se marie au premier goȗt perdu“; zweitens etwas verändert fortbestehen lassen: „le premier goȗt, même perdu, reste le même, tout en l’alterant, en le changeant“; drittens etwas Eingeborenes, Originelles, Idiomatisches wegnehmen, indem etwas Neues dazukommt und es geschmackvoller macht: „en lui enlevant sans doute quelque chose de son goȗt natif, originaire, idiomatique, mais en lui donnant aussi, et par là même, plus de goȗt“; viertens etwas so lassen, wie es war, ihm nur mehr davon geben, was es schon hat: „en cultivant son goût naturel, en lui donnant encore plus le goȗt de son goȗ; de sa saveur propre et naturelle“. (572)

„That’s quite a mouthful“, wie man auf Englisch sagt. Wenn man diese verschiedenen Auffassungen von dem Verhältnis zwischen Ziel- und Urtext, Gewürz und Gewürztem, Übersetzung und Übersetztem zusammenliest – und sie müssen zusammengelesen werden –, dann klingt es wie die Kessellogik bei Freud. „Ich habe den Kessel geborgt und ihn intakt zurückgegeben; der Kessel hatte schon Löcher, als ich ihn geborgt habe; ich hatte den Kessel sowieso nie geborgt.“ Jede einzelne Entschuldigung schließt die anderen aus und deswegen sind sie zusammen widersprüchlich und unsinnig. Aber diese Unsinnigkeit ist nach Freud gerade die „Logik“ des Unbewussten und wir könnten meinen auch die des von Derrida ausagierten Übersetzungsbegriffs.

Symposium Penser en langues – In Sprachen denken, Cerisy 2017


 

Literatur

Derrida, Jacques. Schibboleth : pour Paul Celan. Paris: Galilée, 1986.

Derrida, Jacques. „Spéculer sur Freud“, Ders. La Carte Postale : de Socrate à Freud et au-delà. Paris: Flammarion, 1980: 275–437.

Derrida, Jacques. „Qu’est-ce qu’une traduction ‚relevante‘ ?“, Cahiers de l’Herne. Paris: Éditions de l’Herne, 2004: 561–576.

 

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